Richter

Renato Gabrielli
Richter
(Giudici)
Komödie in 19 Bildern
Deutsch von Sabine Heymann
3 D, 4 H, 1 Dek
Der im Mai 2001 demokratisch gewählte Regierungschef Italiens kann 90 % aller Fernsehmedien kontrollieren. Er ist außerdem Besitzer der größten Verlage, von Zeitungen, Versicherungen, Kaufhaus- und kinoketten, Film-, Produktions-, Finanzierungs- und Immobiliengesellschaften. Die organisierte Kriminalität, so ein Bericht der Italienischen Handelskammer, kontrolliert ein Fünftel des Landes und setzt jährlich 150 Milliarden Euro um.

Der Beauftragte für die Freiheit der Medien in Europa, Freimut Duve, ist mit seiner Kritik an solchen Doppelfunktionen amtierender Politiker bisher gescheitert. Berlusconi kann seine Fernsehkanäle und Beteiligungen nicht einfach so verkaufen, weiß Mario Guarino, der ein Buch über die Geschichte der vor 25 Jahren von Pasolini vorausgesagten Entmachtung der Exekutive in Italien geschrieben hat: "Weil der mögliche Käufer natürlich wissen will, wer die wirklichen Besitzer sind, bzw. wer hinter den Firmenkonstruktionen >Fininvest< und >Mediaset< steht".

Das Publikum in Heidelberg verstand das italienische Gastspiel von Gabriellis >Giudici< als Satire auf die Ausbreitung mafioser Netzwerke und zog selbst die Parallele zwischen staatlicher Reglementierung von Kultur im Neuen Italien und der mit krimineller Energie angestrebten Herrschaft über die Medien in Europa.

Der Richter Filippo Cleoni wird von seiner Familie, die ihn für verrückt hält, im eigenen Hause gefangen gehalten, bewacht von zwei Angestellten seines Schwagers Barnaba Belloni, damit er seine Ermittlungen über gewisse schmutzige Geschäfte der B.A.H. nicht weiterführt. Seine Schwester Federica, Ehefrau Bellonis, überredet Filippo, sich von einer Avantgarde-Psychologin therapieren zu lassen. Isabella Canga bringt dank dem für die "intime Stoß-Therapie" charakteristischen Körperkontakt Filippo dazu, seine Urteilsmanie als nichts anderes denn eine Sublimation sexueller Wünsche zu verstehen. Um Filippos Heilung perfekt zu machen, beschließt Isabella, noch vorhandene Reste seiner Lust auf Gerechtigkeit in einem häuslichen Gerichtsverfahren verpuffen zu lassen. Ein Anlaß ist schnell gefunden. Aus dem Kühlschrank der Familie ist ein Stück sardischer Calangianus-Käse verschwunden, stattdessen ist eine Tüte Kokain aufgetaucht. Für beide Taten muß als Schuldiger der anthropomorphe Hund Dogek herhalten, ein polnischer Experimental-Schauspieler, der eine Anstellung als Hund gefunden hat. Filippo verteilt die Rollen in dem Gerichtsverfahren: Saverio, Bellonis Werbespezialist, vorbestraft wegen Drogenhandels, wird toxikologischer Gutachter, Isabella Staatsanwältin, Federica Verteidigerin, Maria, die von erotischen Abenteuern mit ihrem Chef Belloni träumt, Polizistin, er selbst Richter. Isabella versucht nachzuweisen, daß zum Wohle der Gesellschaft Dogek unbedingt zu verurteilen sei, auch im Falle seiner Unschuld, und daß Saverio auch im Falle seiner Schuld freizusprechen sei. "Das Gesetz ist für alle gleich. Aber was soll man tun, wenn wir nicht alle gleich sind?!" Bevor er das Urteil spricht, hat Filippo ein Gespräch unter vier Augen mit Belloni. Er bietet ihm an, Dogek die Strafe zu ersparen, wenn ihn der Schwager aus dem Haus läßt, damit er seine Ermittlungen fortführen kann. Doch Belloni läßt sich nicht erpressen. Filippo befiehlt Dogek aufzustehen, um das Urteil anzuhören. Der von Maria bereits schrecklich zugerichtete Dogek ist dieser Anstrengung nicht mehr gewachsen. Maria bleibt allein neben Dogeks Körper. Sie träumt mit offenen Augen einen Albtraum. Wie eine Tote läuft sie durch ein verwüstetes Land. Doch dank eines Fernsehers, der stereotype Bilder von Glück ausstrahlt, verwandelt sich der Albtraum in einen Wundertraum.

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