Nicht bewegen

Emmanuel Darley
Nicht bewegen
(Pas bouger)
Stück in 6 Szenen
Deutsch von Reinhard Palm
2 H, 1 Dek
Eine Figur A, die unbeirrt einer geraden Linie folgt, trifft auf eine Figur B. Die erste ist reine Bewegung, die zweite Stillstand. Punkt.

Was wie eine geometrische Spielerei beginnt, lässt rasch seinen szenischen Zündstoff erkennen: in der Begegnung zwischen A und B, den Protagonisten von Bewegung und Ruhe, blitzen elementare Konflikte auf, deren Tragweite nicht absehbar ist. Denn die Freiheit des Nomaden ist für den Sesshaften Verlorenheit, genau so wie die Verwurzelung des Sesshaften für den Nomaden Gefangenschaft ist. Und trotz punktueller Überschneidung ist man von Deckungsgleichheit weit entfernt. Punkt?

Ja. Ihre eklatante Unvereinbarkeit spaltet die Figuren bis tief in die Sprache hinein: die eine beherrscht die auf Bewegung und Aktion gerichtete Grammatik, die andere verschwebt im unpersönlichen Infinitiv. „Eine Sprache vorstellen heißt, sich eine Lebensform vorstellen“, sagte schon Wittgenstein. Was also könnte nach Punkt und Gerade noch kommen? Ein Kreis? Wieder ein Zeichen jenseits seiner beschreibenden Funktion? Oder doch ein Zeichen, das alle Hoffnungen und Wünsche bündelt und Aussicht zulässt auf ein abermaliges „Danach“?

Gibt es also für diese strengen Clowns, deren fatale Radikalität – ein halbes Jahrhundert nach Becketts Ergänzungskrüppeln und Sartres Höllenmenschen – neue Anfangsspiele provoziert, einen Ausweg aus der physikalischen Falle? Zumindest erwarten A und B etwas, eine Begegnung. Und so erliegen diese extrem dualen one-world-Protagonisten dem sichtlich verwüsteten Anlass zum Spiel: ein neuer Kampf der Sprachkörper gegen Physik und Metaphysik beginnt: Bewegung oder Stillstand, Fortschritt oder Verharren, Theater und – Versöhnlichkeit? Punkt, Punkt, Punkt.

„Es geht um den Zusammenstoß zweier Welten/Personen, eine ebenso absurd wie die andere, und um deren jeweilige Entwicklung. Das Stück erinnert an die Grotesken von Keaton, insbesondere hinsichtlich der Körpersprache und der Darstellung der Schauspieler. Es gibt viel zu lachen, und man verläßt das Theater fröhlich, als ob man von seiner Schuld reingewaschen wäre.“ (Herault du Jour)


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