Der eingebildet Kranke

Molière
Der eingebildet Kranke
(Le malade imaginaire)
Komödie
Deutsch von Tankred Dorst
3 D, 8 H, 1 K, 1 Dek
Ein Klistier zur Erfrischung der Verdauung, eines zur Spülung des Unterleibes, ferner ein sedatives Schlafmittel, ein Heilmittel auf Kräuterbasis zur Ausscheidung der Galle, einen adstringierenden Beruhigungstrunk, ein karminatives Klistier gegen Blähungen sowie destillierte Magermilch zur Belebung des Blutes und Granatapfelsirup zur Stärkung des Herzens – auch wenn es ein kleines Vermögen ist, das der äußerst empfindsame Argan monatlich für Medikamente ausgibt, seine daniederliegende Gesundheit ist dennoch ein einziges Krisengebiet.

Es ist der Fluch der modernen Medizin, der wie eine Gewitterwolke über dem armen Argan hängt: Die Vermessung des menschlichen Körpers entdeckt quasi täglich neue Organe, Schleimhäute, Gewebe und Blutgefäße, deren Funktionen gestört sein könnten. Es müsste doch mit dem Teufel zugehen, wenn nicht irgendwo in dieser diffizilen Körpermaschine bereits das Verderben säße. Argan aber denkt prophylaktisch: Wenn Tochter Angélique erst einmal mit dem Sohn von Dr. Diafoirus verheiratet ist, der gerade selbst seine Arztprüfung abgelegt hat, dann ist immerhin die medizinische Langzeitbetreuung gesichert.

Doch Tochter Angélique, mit dem ganzen Leichtsinn der Jugend, denkt gar nicht erst an die Hinfälligkeit des Vaters und liebt den pharmazeutisch völlig unbedarften Cléante. Nur ihre Stiefmutter Béline hat die Endlichkeit Argans genau im Blick, allerdings aus eher zweifelhaften Motiven, denn sie wartet sehnlich auf seine Erbschaft. So sind allerhand Zerreißproben und Stresstests im Hause Argans vorprogrammiert, die vor allem eines zutage fördern: dass auch die Familie ein denkbar störanfälliger Organismus ist.

Noch lange vor gesetzlichen Krankenkassen und privaten Zusatzversicherungen beschreibt Molières Klassiker das moderne Subjekt als ein im Grunde hysterisches: in ständiger Sorge um sich selbst, permanent Risiken abwägend und Tabletten dosierend, doch in der Einbildung längst schon todkrank.


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