Ich kann mir ein Morgen nicht vorstellen
Tennessee WilliamsIch kann mir ein Morgen nicht vorstellen
(I Can't Imagine Tomorrow)
Stück in einem Akt
Deutsch von Wolf Christian Schröder
1 D, 1 H, 1 Dek
Endlose Einöde, ein kahler Himmel, darunter ein unbewohnbares Land, das dennoch bewohnt ist: „Eins“, die Frau, teilt sich ihren kargen Lebensraum mit „Zwei“, dem Mann. Sonst teilen sie nichts mehr, ihr Schmerz hat sie blind gemacht füreinander, die Ausdruckskraft ihrer Worte und Gesten ist verblasst, und wo einst das glasfaserfeine Band der Verständigung gewesen sein muss, klafft jetzt ein unüberwindlicher Abgrund.
Einmal jedoch versuchen sie noch, Kontakt zueinander aufzunehmen: Der Mann ein ehemaliger Lehrer, dem die Sprache zu hilflosem Gestotter zerfällt, sucht Rat in einer Psychiatrischen Klinik – die Frau vollendet seine Sätze und füllt den gemeinsamen Kühlschrank. Doch die Angst vor der Veränderung, dem Chaos dieser Welt, ist stärker als der Mann, sie beugt ihn zurück in den Bunker seines sicherheitssüchtigen Ichs. Und so bleiben Mann und Frau am Ende ihres Aufbäumens gegen die Einsamkeit, was sie zuvor waren: zwei schlingernde Trabanten in weit entfernten Umlaufbahnen.
Tennessee Williams erzählt mit einer meisterhaften Wucht des Abstrakten, die unweigerlich an Beckett denken lässt, vom Totalausfall zwischenmenschlicher Kommunikation. „I Can’t Imagine Tomorrow“ ist ein verstörend vieldeutiges, geisterhaftes Stück über den Horror Vacui des Alterns, das schwache Leuchten der Liebe und die Lähmung einer postapokalyptischen Welt, die sich lange schon kein Morgen mehr ausmalen kann.
Zurück zur Übersicht