Treppe nach oben

Tennessee Williams
Treppe nach oben
(Stairs to the Roof)
Stück in 19 Szenen
Deutsch von Helmar Harald Fischer
8 D, 22 H (Mehrfachbesetzungen möglich), St, Verw - Dek

Die Treppe nach oben führt ins dritte Jahrtausend, ins neue Millenium, das auf dem Dach eines Wolkenkratzers mit begeisterten Freiheitsrufen begrüßt wird. Der Entdecker der Treppe nach oben, Benjamin Murphy, hat die Angestellten des ganzen Bürohauses rebellisch gemacht, die ihm aufs Dach gefolgt sind, um seinen Abflug in höhere Sphären mitzuerleben. Dem ziemlich trostlosen Zustand, den die zwei Geschlechter hier auf der Welt Nummer Eins angerichtet haben, soll ein Experiment monosexueller Fortpflanzung auf einem brandneuen Stern als Welt Nummer Zwei entgegengesetzt werden. Doch Benjamin Murphy hatte die Treppe nach oben gefunden, weil er einer Welt voller Reglementierungen entkommen wollte. So macht er auch bei diesem Plan gleich von seinem Freiheitswillen Gebrauch.

Tennessee Williams schrieb >Treppe nach oben< sechzig Jahre früher, 1941. Er nannte es ein "Gebet für die, die wilden Herzens sind und im Käfig gehalten werden" und widmete es "allen kleinen Gehaltsempfängern dieser Welt". Es war die dramatische Verarbeitung eines persönlichen Lebensabschnitts, seiner "Season in Hell", wie er es nannte, als sein Vater ihn als Schreiber in die Registratur einer Schuhfabrik gesteckt hatte. Williams verfaßte >Stairs to the Roof< jedoch als Komödie, mischte Science Fiction und Love Story.

Benjamin Murphy, klein, fiebrig, gescheit, leidet nicht nur unter dem menschenverachtenden Zynismus seines Chefs, sondern auch der Oberflächlichkeit seiner Frau und der Desillusionierung durch zerplatzende Jugendträume und zerbrechende Freundschaften. Aber als er das Mädchen findet, das wie er darunter leidet, als unverwechselbare Person gar nicht wahrgenommen zu werden, beginnen sie beide, die Wirklichkeit nach ihrem Bilde zu modellieren. Es ist nicht die Flucht aus der Wirklichkeit, die Tennessee Williams hier zeigt, sondern die Kraft zur Veränderung, sobald man sich sicher ist, daß zuerst der Mensch war und dann die Uhr, erst der Gedanke und dann seine Versteinerungen. Und so wie Williams selbst im größten Freilichttheater von Missouri, im Forest Park von St. Louis, seine ersten prägenden Theatererlebnisse hatte, so stellte er in den Mittelpunkt von >Stairs to the Roof< eine Jahrmarktsaufführung von >Die Schöne und das Biest<, die Verwandlung von Böse in Gut durch die Macht der Liebe und Phantasie.

>Stairs to the Roof< wurde kurz vor Kriegsende 1945 in Pasadena uraufgeführt, als >Die Glasmenagerie< bereits von Chicago an den Broadway ging und sämtliche Preise gewann. Die Komödie vom kleinen Mann, der beherzt die Welt verändert, paßte nicht mehr zu einem Autor, der die Dollars jetzt nach Tausendern zählte und als neuer Eugene O'Neill Konjunktur hatte. An der Schwelle zum neuen Jahrtausend erst, im November 2000, wurde >Stairs to the Roof< im Krannert Center for the Performing Arts an der Universität von Illinois-Urbana erneut vorgestellt und im Herbst 2001, inszeniert von Lucy Bailey, auf dem Chichester Festival zum ersten Mal in Europa gezeigt. (HHF)


"Wenn ich an >Stairs to the Roof< zurückdenke, habe ich nicht das Gefühl, mich rechtfertigen zu müssen. Ich wünschte, ich hätte noch den leidenschaftlichen Idealismus Ben Murphys! Vielleicht lächeln Sie so wie ich über die Einfalt, mit der er sich manchmal aufregt, aber ich hoffe, Sie respektieren so wie ich auch die Reinheit seiner Empfindung und seine ernsthafte Beschäftigung mit dem Grundproblem menschlicher Natur: wie verhelfen wir unserem Leben zu mehr Würde durch Ausprägung einer bestimmten Freiheit." (Tennessee Williams)

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