Marija

Isaak Babel
Marija
(Marija)
Schauspiel in 8 Bildern
Deutsch von Wolf Christian Schröder und Jürgen Flimm
8 D, 15 H, Verw - Dek
Der gute Kommunist arbeitet unermüdlich daran, das Ideal der Klassenlosigkeit zu erreichen, doch eben weil es ein Ideal ist, bleibt es letztlich unerreichbar. Die Oktoberrevolution in Russland war in diesem Prozess nur ein Schritt, immer wieder müssen Ideal und Wirklichkeit übereinander gehalten werden, muss passend gemacht werden, was nicht passt: „Wo gehobelt wird, da fallen Späne“, sagt der neureiche jüdische Händler Dymschitz in Isaak Babels „Marija“. Natürlich hat er gut reden, denn er ist noch recht passabel davongekommen.

Schlechter trifft es die Familie des ehemaligen Generals Mukownin. Vater Nikolai, der manisch an einem Buch über die Geschichte des Militärs arbeitet, und seine Tochter Ljudmila, die eisern an ihrem Bohème-Leben festhält, leben mittellos und abgeschnitten von der Gesellschaft in ihrem Haus in Leningrad. Leuchtende Ausnahme ist Tochter Marija, die zur glühenden Revolutionärin geworden ist und sich der Roten Armee angeschlossen hat. Doch wird die Bilderbuch-Kommunistin bald zu Hause gebraucht: Als Ljudmila im Dunstkreis einer jüdischen Schmugglerbande aufgegriffen und verhaftet wird, gibt das dem altersschwachen Nikolai endgültig den Rest. Marija ist jetzt die einzige und letzte Hoffnung.

Isaak Babel, den Stalin wegen angeblicher Spionage hinrichten ließ, lenkt den Blick auf die Kehrseite der russischen Revolutionseuphorie, auf die Verlierer, die Kriegskrüppel, die sich mit Hehlereien über Wasser halten, und die ehemalige Oberschicht, die dem blutigen Geschehen nur mit Realitätsverlust begegnen kann – also auf jenen wertlosen Rest, über den der dialektische Gang der Geschichte gnadenlos hinweggehen will. Dass Titelfigur Marija, die Inkarnation aller kommunistischen Erlösungsträume, keinen einzigen Auftritt in diesem tollkühnen Drama hat, lässt sich da nur als ätzender Spott seines Autors lesen.


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