Zusehn beim Einsturz

John Osborne
Zusehn beim Einsturz
(Watch it Come Down)
Stück in 2 Akten
Deutsch von Frank-Thomas Mende
3 D, 5 H, 1 Dek
Rückzug in die Provinz: Der alternde Filmemacher Ben und seine Frau Sally haben der zynischen Selbstherrlichkeit der Londoner Künstlerszene den Rücken gekehrt und suchen in einem stillgelegten renovierten Bahnhof auf dem Land nach Einfachheit und Intimität, nach der Authentizität des Gefühls und einem neuen Leben jenseits gesellschaftlicher Fesseln. Mit unter ihrem Dach leben in einer Art-Künstler-Patchwork-Familie Sallys malende Schwester Shirley, der todkranke Geistesaristokrat Glen, die ihm in Demut ergebene Jo, sowie der schwule und schweigsame Arbeiterjunge Raymond.

Doch das Experiment scheitert. Ohne die Schutzwälle bürgerlicher Tugend prallen die Egos, ihr unersättliches Besitzdenken und der Frust des Scheiterns mit ungebremster Wucht aufeinander. Im Mittelpunkt stehen der rührselige Ben, der seit der Trennung von seiner ersten Frau und Tochter auf die Trümmer seines Lebens zurückblickt, und Sally, die ihren enttäuschten Gefühlen für Ben mit hilflosem Zorn begegnet. In innigem Hass verbunden, führen beide einen permanenten Abnutzungskrieg, der an physischer und psychischer Härte kaum zu überbieten ist, und verwandeln so das ländliche Idyll in ein Schlachtfeld.

„Zusehn beim Einsturz“ ist ein düster-kraftvolles Stück über den Kollaps einer Gesellschaft ohne Fundament. In Zeitlupe und aus nächster Nähe werden wir Zeuge der Implosion einer bürgerlichen Mittelschicht, der die 68er-Revolte nicht Aufbruch war, sondern letztes Lebenszeichen. Der Blick richtet sich nach vorn in Angst: Was folgen wird, ist ungewiss, auch heute noch. Die Welt da draußen, jenseits des Bahnhofs, zeigt uns Osborne zwar nicht. Doch sie rückt näher – und auch sie kommt nicht in Frieden.


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