Starke Frauen

Rona Munro
Starke Frauen
(Bold Girls)
Stück in 4 Szenen
Deutsch von Marlene Streeruwitz
4 D, Verw - Dek
"Dies ist keine Geschichte von Gewehren. Es ist die Geschichte von vier starken Frauen." (Rona Munro)

Rona Munro führt uns in das vom Bürgerkrieg erschütterte Belfast. Schüsse knallen, am Ende der Straße brennen Autos. Doch nicht Krieg oder Politik stehen im Mittelpunkt von Munros Stück, sondern vier Frauen, die in dieser Welt ihren schwierigen Alltag bestehen: die Freundinnen Marie und Cassie, Cassies Mutter Nora und die junge Deirdre.

Marie lebt mit ihren zwei Kindern. Sehr jung, im Alter von 17 Jahren, hatte sie geheiratet. Sie liebte ihren Mann Michael, doch vor dreieinhalb Jahren wurde er von den Engländern erschossen. Seither ist Michael ein Held, und Heldentum hilft, im Einklang mit sich und der Welt weiterzuleben. Auch Maries Bruder Davey, der von den Engländern verhaftet und ins Gefängnis gesteckt wurde, ist ein solcher Held. Marie führt ihren Haushalt, sorgt für die Kinder, füttert als "guter Mensch” die hungernden Vögel und sonnt sich im Glück ihrer Erinnerung an einen wunderbaren Ehemann.
Maries Freundin Cassie teilt das Schicksal der alleinstehenden Frau und alleinerziehenden Mutter. Auch Cassie hat zwei Kinder; von der Jüngsten wurde sie genau an dem Tag entbunden, an dem ihr Mann Joe verhaftet wurde. Auch ihr Bruder sitzt im Gefängnis. Doch eins unterscheidet die beiden Frauen: Cassie will ihren Mann nicht zurück, ihr graut vor seiner Entlassung, ihre Erinnerung an ihn ist alles andere als glücklich.
Wie ihre Tochter und Marie ist auch Cassies Mutter Nora allein. Ihr Mann ist tot, ihr Sohn im Gefängnis. Kindererziehung ist für sie Vergangenheit, kann ihr zu keiner häuslichen Geborgenheit mehr verhelfen. Deshalb versucht sie, durch ständige Wohnungsverschönerung ihrer Existenz einen Sinn und sich einen Halt zu geben.

Frauenleben im Bürgerkrieg, zwischen Wäsche, Spielzeug und Wohnung, eingesponnen in Legenden um die abwesenden, heldenhaften Männer.
Doch da erscheint Deirdre, auf der Suche nach ihrem Vater, ein geheimnisvolles Mädchen, das zu niemandem gehört. Marie erscheint sie wie Michaels Geist, wie ihre eigene Jugend oder wie die ersehnte, vom Schicksal verweigerte Tochter. Die Fremdheit dieses Mädchens, die Besessenheit, mit der sie Wahrheit einfordert, wirkt bedrohlich auf die Frauen, die sich mit Wunschvorstellungen in ihrem Leben eingerichtet haben.
Die Legenden werden erschüttert.
Ein normaler Streit zwischen Mutter und Tochter wird zur fundamentalen Auseinandersetzung. Sean, Cassies Vater und Held, der sanfteste aller Menschen, pflegte seine Frau Nora zu schlagen. Mit dieser Wahrheit konfrontiert, die sie nicht erträgt, lenkt Cassie ihren Haß lieber auf die Mutter. Heimlich spart sie Geld für ihre Flucht aus Belfast. Ihr Mann, ihr "stinkender” Joe, soll entlassen werden. Gefangene Patrioten sind unantastbar, doch Cassie durchbricht jetzt Tabus: Joe hat sie regelmäßig betrogen, jeder wußte es und schwieg, dies Leben will sie nicht zurück.
Marie, die Gute, die Zufriedene, bemitleidet Cassie wegen Joes Betrügereien, doch die Freundin, sie ist entschlossen, wenigstens jene Wahrheiten aufzudecken, die sie ertragen kann; Cassie stürzt auch den bislang unangefochtenen Helden Michael: Maries Mitgefühl ist auf Sand gebaut, denn ihr treuer Ehemann hatte zu Lebzeiten eine Liebesbeziehung mit Cassie.

Rona Munros Stück über vier irische Frauen ist auch ein Stück über Männer, wie sie sich im Leben der Frauen spiegeln: Männer, die Frauen betrügen und schlagen, kämpfen, ins Gefängnis geworfen werden, sterben; Männer, die Helden sind und Schweine. Und es ist ein Stück über Wahrheit, über die Sehnsucht nach ihr, die Suche nach ihr, die Unfähigkeit, sie zu ertragen, und die Möglichkeit, sie nicht ertragen zu müssen, weil sie teilbar und relativierbar ist. –

"Er hat immer die Wahrheit gesagt,” meint Cassie von Michael, "aber es gibt nur so viel Wahrheit, wie jemand hören will.”
Marie sagt über die Engländer, die einen Feind suchten: "Er war gar nicht der Mann, den sie suchten. Aber sie erschossen ihn, und damit wurde er der Mann, den sie suchten.”
In Abwandlung dessen könnte Marie über sich sagen: "Er war gar nicht der Held, den ich meinte. Aber ich stellte seine Photographie auf, und damit wurde er der Held, den ich meinte.”

Unsentimental wie auch der Titel - >Starke Frauen< - sind Munros Dialoge gehalten und machen den Text gerade dadurch zu einem eindringlichen Stück über Sehnsüchte, Leiden, Freuden, menschliche Größe und menschliche Schwächen.

"RONA MUNRO wurde 1959 in Aberdeen geboren. Sie studierte an der Mackie Academy in Stonebridge und der Universität von Edinburgh Geschichte.
1982 erhielt sie ihren ersten Auftrag: >Fugue< für das" Traverse Theatre "in Edinburgh. Weitere Aufführungen an unterschiedlichen Bühnen folgten: >Piper's Cave< (1985), >The Way to Go Home< (1987).

Als Schauspielerin trat sie mit Fiona Knowles in dem feministischen Kabarett >The Msfits< auf; eine erfolgreiche Tournee führte sie damit durch ganz Großbritannien.

1989 wurde ihr Einakter >Saturday at the Commodore< als Teil der Veranstaltung "Long Story Short: Voices of Today's Scotland" am "7:84 Scottish People's Theatre "aufgeführt.

Dasselbe Theater brachte 1990 ihr Stück >Bold Girls< heraus. Damit gewann Munro 1991 den Susan Smith Blackburn Award für das beste Stück einer Frau in der englischsprachigen Welt und im selben Jahr noch den Evening Standard Award als vielversprechendste Autorin (Most Promising Playwright Award). 1992 wurde es mit dem Play International Award ausgezeichnet.

1992 wurde am" Traverse Theatre "in Edinburgh >Your Turn to Sweep the Stairs< aufgeführt, 1995 am "Hampstead Theatre" >Maiden Stone< und 1999 am selben Theater >Snake<. >Snake< ist ein Stück besonderer Art: ein Text in vier Versionen, die, je nachdem, mit welchem Teil man beginnt, ein anderes Stück ergeben. Beginnt man beispielsweise mit Teil 1, stirbt eine Person in Teil 3. Beginnt man aber mit Teil 3, kehrt diese Figur in Teil 1 wieder zurück. Das vermittelt stets neue und spannende Perspektiven.

Das" Hampstead Theater "hat Rona Munro inzwischen als Autorin und literarische Beraterin engagiert. Sie gründete außerdem die" Swiss Cottage Community Drama Group.

"Rona Munro schreibt für Bühne, Radio und Fernsehen. Inzwischen trat sie auch mit zwei renommierten Filmdrehbüchern hervor: mit >Ladybird, Ladybird<, inszeniert von Ken Loach, und mit >Aimée & Jaguar<, das 1999 in der Regie von Max Färberböck zur Berlinale eingeladen wurde.

Wunsch nach größtmöglicher Realitätsnähe und harte Kritik am brititschen Sozialwesen, ohne sich dabei auf den Standpunkt überheblichen Besserwissens zurückzuziehen - so beurteilt Hans-Dieter Seidel in der FAZ das Drehbuch zu >Ladybird, Ladybird<, ein Satz, der auf das Gesamtwerk Rona Munros zutrifft: Bei aller Sozialkritik stellt sie sich nie außerhalb ihrer Geschichte."

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