Gespräche mit meinem Vater

Herb Gardner
Gespräche mit meinem Vater
(Conversations With My Father)
Stück in 2 Akten
Deutsch von Bernd Samland
2 D, 11 H, 1 Dek
1976, New York City, Lower Manhattan, Canal Street. Charlie Ross räumt mit seinem Sohn Josh die Kneipe seiner verstorbenen Eltern Eddie und Gloria auf und aus. Eine Ära geht zu Ende. Hier hatte Eddie Ross, einst Itzig Goldberg, über Jahrzehnte unter immer neuen Namen in entsprechend wechselnden Dekorationen und mit gleichbleibend wenig Glück sein Lokal betrieben. Während Musik aus der uralten Wurlitzer Jukebox erklingt, werden wir mit Charlie vierzig Jahre zurückversetzt. Es ist der 4. Juli 1936, Eddie hat gerade wieder mal umdekoriert - auf das Amerika der Unabhängigkeitskriege - und umbenannt - in >Golden Door Tavern<; am Tag zuvor hat er sich amtlich den neuen Familiennamen Ross zugelegt und aus seiner Frau Gusta eine Gloria gemacht. Von nun an wird Charlie zum Erzähler und Kommentator des Geschehens; er erlebt sein Leben seit dem Kinderwagen und alles, was es geprägt hat, noch einmal.

Da ist sein älterer Bruder Joey, vormals Jussel, den er bewundert, weil der sich wortwörtlich durch- und hochboxen kann; doch Joey gibt mit Siebzehn vor einem großen Kampf das Boxen auf, meldet sich 1944 zur Navy, um seinen Beitrag zum gerechten Kampf gegen die Nazis zu leisten, und fällt in den letzten Kriegstagen im Pazifik. Da ist der Untermieter der Familie, der alte Schauspieler Zaretsky, einst am Jiddischen Theater in Odessa, der mit einem Programm in jiddischer Sprache durch die Staaten tingelt, anscheinend ein armseliges Dasein fristet, aber seinen Stolz als Jude
bewahrt, sich nicht assimiliert, so etwas wie das jüdische Gewissen für Eddie und Joey darstellt und am Ende als Millionär stirbt. Da sind Eddies Stammgäste, die beiden Säufer Hannah und ihr Freund Nick, sowie Finney, der in Eddies Kneipe seine illegalen Wettgeschäfte betreibt.

Doch da ist vor allem Eddie, der Vater, der eines nicht sein will: ein jüdischer Verlierer, wie es in seinen Augen sein eigener Vater war, mit dem er einst als Junge nach Amerika kam. Die Angst, als Verlierer dazustehen oder auch nur als Feigling zu gelten, bestimmt sein Leben. Und so sehen wir Eddie - auch mit Charlies Augen - im Kampf ums Überleben in einer feindlichen Umwelt: gegen italienische Schutzgelderpresser, antisemitische Jugendliche oder die Schmach, daß sein Lokal erst ein Erfolg wird, als Gusta sich auf die alte Heimat besinnt und aus der Kneipe >The Homeland Tavern< macht. In Eddie spiegelt sich der Konflikt zwischen Anpassung und Bewahrung einer jüdischen Identität. Mit sarkastischem Witz entlarvt Gardner dabei auch noch gleich den amerikanischen Mythos vom „Schmelztiegel“.

Bernd Samland

Zurück zur Übersicht