Eisen
Rona MunroEisen
(Iron)
Stück in 2 Akten
Deutsch von Dieter Giesing und Maria Scheibelhofer
3 D, 1 H, Verw - Dek
Als die fünfundzwanzigjährige Josie im Gefängnis vorspricht, um ihre Mutter zu sehen, kommt sie vergeblich. So einfach ist das nicht, wenn man eine Lebenslängliche besuchen will. Aber sie muss die Mutter sehen. Zu lange ist es her. Fünfzehn Jahre. Mehr als die Hälfte ihres Lebens. Sie ist bei der Oma aufgewachsen, die sie Mutter nannte. Und sie hat überhaupt keine Erinnerung an das, was vor dem Mord der Mutter an ihrem Vater passiert ist. Deswegen ist sie aus Amerika in die Heimat zurückgekehrt, deswegen muss sie die Mutter sehen. Die lebenstüchtige Josie braucht die Mutter, die ihr fremd ist, sich aber an alles erinnert.
Was sich in den folgenden Begegnungen zwischen Mutter und Tochter im Gefängnis unter Aufsicht zweier Wärter ereignet, ist nicht nur eine Annäherung zwischen Mutter und Tochter. Sukzessive erinnert sich Josie an ihren Vater. Plötzlich hat sie vom Vater ein Bild vor Augen, die Erinnerung an eine vermeintlich banale Situation. Und dieses Bild kehrt wieder und wieder. Sie kann es nicht deuten, nicht enträtseln. Die Besuche der Tochter entwickeln sich zu einem mitreißenden, obsessiven Drama um Leidenschaft, Abhängigkeit, Schuld und Reue. Und um Liebe. Auch um die ungelebte Liebe der Mutter zu ihrer Tochter. Indem die Tochter sich mehr und mehr an ihre Kindheit erinnert, will sie der Mutter helfen. Es wird auch immer klarer, dass sich hier eine Frau dazu noch selbst verurteilt hat. Oder nutzt die Mutter die Tochter bloß für ihre Zwecke aus? Missbraucht sie sie in ihrer masochistischen Vorstellung von Liebe? Wie konnte die Mutter in der gewalttätigen Atmosphäre des Gefängnisses überleben? Und warum hat sie den Vater ermordet? Hat sie es überhaupt getan, oder war es bloß Notwehr?
Fast lakonisch erzählt uns die schottische Autorin Rona Munro von der Ausweglosigkeit der schicksalhaften Begegnung der Mutter mit Josies Vater. In vielschichtigen und immer enger werdenden Kreisen bewegt sich die Geschichte auf den Abgrund der einmal begangenen Schuld zu. Auf das Warum, auf das Wie der Mordtat, die unvermittelbar bleibt zwischen Mutter und Tochter, zwischen Täterin und Welt.
Die beiden Wärter, eine Frau im Alter der Tochter und ein Mann im Alter von Josies Vater, repräsentieren den realen Bereich einer Justizvollzugsanstalt: sie entwickeln jeder für sich ihre ganz persönliche Strategie, um mit ihren Gefangenen menschlich zurecht kommen zu können. Die eine, nachdem sie der Heldin auf den Leim gegangen ist, glaubt an eine Andersartigkeit der Mörderin, der andere glaubt, alle Frauen sind irgendwie gleich in ihrem Verhaltenskodex und in ihrer Dienstfertigkeit.
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