Hapgood
Tom StoppardHapgood
(Hapgood)
Stück in 2 Akten
Deutsch von Frank Günther
1 D, 8 H, Verw - Dek
"Verglichen mit Tom Stoppards Spionage-Krimi "Hapgood" liest sich ein John le Carré-Thriller wie Rotkäppchen", schrieb eine Londoner Zeitung zur Uraufführung dieses Stoppard-Stückes. Und tatsächlich verwendet Stoppard meisterhaft alle Stereotypen und liebgewordenen Versatzstücke dieser Literaturgattung: hochrangige Leiterin einer Abteilung des englischen Geheimdienstes MI5 ist Elizabeth Hapgood, eine elegante Dame mit brillantem Gehirn, die Telefonschach ohne Brett spielt, während sie gleichzeitig brisante Feldoperationen über Walkie Talkie leitet, nebenbei über die Geheimleitung zur Downing Street 10 mit ihrem Sohn über Rugby-Schuhe und Goldhamster plaudert, mal eben schnell als ihre eigene flippige, verkiffte Bohème-Zwillingsschwester auftritt, notfalls treffsicher schießt und meisterhaft die amerikanischen CIA-Kollegen ausmanövriert. Komplizierte Spielchen werden gespielt: man tauscht Aktentaschen in Schwimmbädern, fälscht Informationen auf Computerdisketten, forscht HiTech-Wanzen und Funkpiepsern nach. Komplizierte Operationen stehen an: ist Kerner, ein übergelaufener russischer Physiker, in Wirklichkeit gar nicht übergelaufen, sondern ein sowjetischer Doppelagent? Oder ein sowjetischer Doppelagent, der die Sowjets als Dreifacher reinlegt? Oder die Engländer als Vierfacher? Oder ist Mrs. Hapgood selbst... oder ihr Mitarbeiter Ridley... oder...?
Aus den genußvoll, spannend und komödiantisch ins Extrem getriebenen Versatzstücken des Spionagethrillers kristallisiert sich das Grundthema des Stückes heraus: das Bild des Doppelagenten, der von sich selbst nicht einmal weiß, ob er ein zwei- drei- vier- oder fünffacher Doppelgänger seiner selbst ist. Je drängender nach "Wahrheit" und "Wirklichkeit" geforscht wird, um so unklarer, unerkennbarer, unschärfer wird die Wirklichkeit; die Frage nach "Wahrheit" und "Wirklichkeit", nach dem berühmten "Schein und Sein" erfährt eine ungewöhnliche Behandlung: der Physiker Kerner beantwortet sie aus dem Geist der Ouantenphysik und der Heisenbergschen Unschärfe-Relation.
Besteht Licht aus Wellen oder aus Teilchen? Entweder – Oder – die klassische Fragestellung – bist du für mich oder gegen mich, schwarz oder weiß? Das Paradoxe der Ouantenphysik aber ist, daß Licht aus Wellen besteht, wenn der Forscher Wellen sehen will – und daß es aus Teilchen besteht, wenn der Forscher Teilchen sehen will... – Ja, woraus besteht es denn dann wirklich, objektiv...?
Falsche Fragestellung! Es besteht aus dem, was du sehen willst! "Der Akt des Beobachtens bestimmt die Realität". – Aber das ist doch Unsinn...! – Nein, exakte Naturwissenschaft.
In der Verkleidung eines Spionage-Thrillers geht Stoppards Stück ingeniös den philosophischen, ethischen und existenziellen Implikationen des modernen physikalischen Weltbildes nach, das unsere Gegenwart längst fundamental beeinflußt hat und doch – seiner Abstraktion und Kompliziertheit wegen – kaum in das öffentliche Bewußtsein gedrungen ist.
Einstein, der Physiker, hat leidenschaftlich gern Geige gespielt – aber welcher Künstler beschäftigt sich mit Naturwissenschaft?
Stoppard gelingt es, ein angeblich hermetisches Spezialistenthema aufregend und witzig als philosophische Grundfragestellung an uns und unsere Wahrnehmung der Welt zu behandeln.
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