Ein Bräutigam für Marcella

Ivan Klíma
Ein Bräutigam für Marcella
(Ženich pro Marcelu)
Einakter
Deutsch von Alexandra und Gerhard Baumrucker
1 D, 4 H, 1 Dek
Ein kahles Amtszimmer, ein Tisch, zwei Stühle. Nach acht Stunden Wartezeit wird Kliment ins Büro vorgelassen. Dort gibt man sich immerhin freundlich. Der Beamte für „Personalstandsangelegenheiten“ gratuliert zu Kliments Verlobung mit Marcella Lukasová. Das Problem ist nur: Kliment ist mit Marcella gar nicht verlobt, er kennt sie nur flüchtig – eine ehemalige Nachbarin. Kliment glaubt an einen Irrtum, an eine zufällige Namensgleichheit, an einen Fehler im System, der sich klarstellen und rückgängig machen lässt. Der Beamte jedoch stellt sich stur – das System macht keine Fehler. So aber kommt es zum ungleichen Kampf. Denn die Behörde ist nicht nur allwissend und allmächtig, auch will sie nur das Beste für Kliment. Und sie ist bereit, ihn mit allen Mitteln zu seinem Glück zu zwingen...

„Ein Bräutigam für Marcella“, 1968 in London geschrieben, als die Warschauer-Pakt-Staaten in die Tschechoslowakei einrückten, ist ein Stück wie ein düsterer Fiebertraum: Wie sonst nur Franz Kafka beschäftigt sich Ivan Klíma mit dem Ausgeliefertsein des Individuums an einen anonymen, bürokratischen Apparat, der sich seine eigene Wirklichkeit setzt – und diese zur Not mit Zwang und Folter vollstreckt. „Ein Bräutigam für Marcella“ erzählt damit nicht nur von einem Sozialismus, der gerade sein „menschliches Antlitz“ verloren hat. Vielmehr erzählt es vom totalitären Grundübel des 20. Jahrhunderts, das bis in unsere politische Gegenwart reicht – bis zu Gefangenenlagern wie Guantánamo oder den schattenhaften Praktiken der Geheimdienste.


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