Stromabwärts
Benedikt Bernhard HaubrichStromabwärts
Sieben Szenen
4 D, 2 H, Verw - Dek
Bruno Bregazzi hat ein Ziel vor Augen: das Meer. Vor langer Zeit ist er aufgebrochen, um dem Fluss zu folgen. Gemeinsam mit seinem treuen Begleiter und Freund Clos zieht er schlaflos stromabwärts von Stadt zu Stadt. Nachts verdient Bruno das Geld für ihre Reise mit illegalen Boxkämpfen in verlassenen Flugzeughangars, Kinderheimen, Schiffswerften, Fabrikhallen, Ruinen und in den Kellern von Cafés. Clos organisiert diese free fights. Mit traumwandlerischer Sicherheit gewinnt Bruno jeden seiner Kämpfe. Immer mehr Menschen wollen den Unbesiegbaren kämpfen sehen. Gleichzeitig plagen den Siegreichen entsetzliche Selbstzweifel und Ängste: Wofür diese Reise? Und was tun, wenn doch mal einer kommt, der ihn niederstreckt? Den Kampf, den er zu kämpfen hat, ist sein innerer Kampf ums Fortkommen, ums Erreichen des weiten Ziels. In seinem Innern tobt das viel gefährlichere, aufreibendere und brutalere Gefecht. Je näher er seinem Ziel kommt, desto größer wird die Ungewissheit und die Angst: Was werden sie am Delta finden? Was geschieht, wenn die Sehnsucht befriedigt ist? In dieser Schlacht treibt Clos ihn voran. Mit seiner stoischen, selbst- und siegessicheren Art wird Clos zum Antreiber und Anpeitscher des Kämpfers. Er hält schützend seine Hand über Bruno.
BRUNO Was, wenn der Weg für uns zu weit ist?
CLOS Wir kommen an.
BRUNO Aber wann?
CLOS Was ist mit dir? Wir sind doch unterwegs.
BRUNO Und außerdem, was erwartet uns dort?
CLOS Was schon.
BRUNO Nimm mich ernst. Ich will wissen, was wir am Mündungsdelta finden werden.
CLOS Ich weiß nicht – das Meer. Ich hoffe, das Meer.
Als eines Nachts Brunos Schwester, Marlene, und seine tyrannische Mutter, Viktoria, die im Rollstuhl sitzt, in den Hallen der stillgelegten Schiffswerft erscheinen, beginnt ein Kampf um Verantwortung, Authentizität und Integrität. Es wird mit harten Bandagen gefochten, und Bruno ist gezwungen, seinen Lebensplan, seine Sehnsucht und seine Entscheidungen neu zu legitimieren – vor allem vor sich selbst. Er läuft Gefahr, sich selbst zu zersetzen. Sogar Clos, der Bruno in allen Situationen zu schützen wusste, ist dieser Übermacht an Argumenten und emotionalem Furor hilflos ausgeliefert. Es scheint, die Positionen sind unvereinbar.
BRUNO Mama, verzeih mir, aber ich kann nicht mit dir kommen.
VIKTORIA Und ob, du kannst.
BRUNO Nein. Ich habe einen Auftrag.
VIKTORIA Mach dich nicht lächerlich. Was für einen Auftrag hast du, außer dich um deine alte Mutter zu sorgen?
Am Ende der Nacht sieht es so aus, als ob Bruno als Sieger dieser Auseinandersetzung das Feld verlässt. Und trotzdem ist Bruno Bregazzis Reise nun zu Ende. Er kommt weder vor noch zurück. Er ist verraten worden. Müde und kraftlos bleibt er, wo er ist. Allein?
STROMABWÄRTS ist eine Geschichte der Siege und Niederlagen, der sich auflösenden Gewissheiten. STROMABWÄRTS erzählt von der Gefahr, die Überzeugungen und Sehnsüchte in sich bergen. Und von der Notwendigkeit, ihnen zu folgen.
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