Der Milchglassarg

Tennessee Williams
Der Milchglassarg
(The Frosted Glass Coffin)
Stück in einem Akt
Deutsch von Wolf Christian Schröder
1 D, 4 H, 1 Dek
Der Bürgersteig vor dem „Ponce de Leon“, einem billigen Hotel in Miami, das ausschließlich von Rentnern bewohnt wird. Wie jeden Morgen stehen die Senioren Schlange vor dem „Dixie Mammy’s“, der billigsten Cafeteria der Stadt. Der soziale Frieden ist jedoch gefährdet: Man munkelt, im „Dixie Mammy’s“ stünden Preiserhöhungen an – nicht nur Kaffee und Cornflakes sollen teurer werden, der kostenlose Nachschlag wird angeblich sogar ganz gestrichen.

Drei alte Männer, die etwas abseits stehen und allmorgendlich über die „Greisenparade“ zum Frühstück lästern, wissen schon lange, dass es abwärts geht: Verkalkung, Fettablagerungen in den Gehirnarterien, Prostata, Herzversagen, Gallenblasenentzündung und die Sterberaten der Männer im Vergleich zu Frauen – man hat sich genau informiert über das Nachlassen der Körperfunktionen, im "Reader’s Digest" oder dem "Journal für Geriatrie", um den Verfall frühzeitig zu erkennen. Natürlich niemals den eigenen, sondern nur den des Zimmernachbarn.

Gnadenlos grell und dennoch humorvoll beleuchtet „Der Milchglassarg“ – Tennessee Williams hielt ihn für seinen gelungensten Einakter – die Ellenbogengesellschaft des Seniorenstifts. Das warme Licht des Lebens leuchtet hier nur noch von ferne, weder ganz tot noch richtig lebendig lebt man im „Milchglassarg“. In dieser Alterskohorte liegen Komik und Tragik besonders nah beisammen. Als nämlich tatsächlich jemand abtritt – wider alle Statistik trifft es die gute Mrs. Kelsey noch vor ihrem demenzkranken Mann –, zeigt sich mit aller Härte: Niemals ist man so einsam wie im Sterben.


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