Thank You, Kind Spirit

Tennessee Williams
Thank You, Kind Spirit
Stück in einem Akt
2 D, Gemeinde, 1 K, 1 Dek
Mutter DuClos, grauhaarig und gekrümmt, steht am improvisierten Altar einer kleinen Kapelle in New Orleans und beschwört die Geister. Ob es notorische Kopfschmerzen sind, eine anstehende große Reise, der unverarbeitete Tod der Großmutter oder eine unglückliche Liebe – für jedes Problem ihrer Gemeinde empfängt Mutter DuClos aus dem Jenseits die passende Lösung. Als Gegenleistung erwarten die guten Geister meist nicht mehr als ein „Thank you, kind spirit“, ein paar Gebete und – einen angemessenen Betrag für den Klingelbeutel.

Heute jedoch hat sich ein böser Geist unter das Volk gemischt. Mutter DuClos hat gerade ein kleines Mädchen mit einem Schluck heiligen Lourdes-Wasser aus der Cola-Flasche von einem schwerwiegenden Knochenleiden befreit, da regt sich aus der letzten Reihe ketzerischer Widerstand: Die Weissagungen seien billige Tricks, ruft eine Frau, das Lourdes-Wasser bloß aus dem Wasserhahn und Mutter DuClos eine Alkoholikerin, die das Geld im Klingelbeutel für ihren Fusel verpfändet. Kaum ist der Zweifel gesät – da verwandelt sich die gläubige Gemeinde in einen wütenden Mob, der sich für den vermeintlichen Betrug gewaltsam rächt…

Echte Magie oder Voodoo-Schwindel? Gute Seele oder kreolischer Scharlatan? Opfer oder Täter? – Tennessee Williams lässt den Zuschauer über Mutter DuClos im Ungewissen. So ist „Thank You, Kind Spirit“ ist nicht nur eine spitze Satire über das lukrative Geschäft mit dem Jenseits, es ist zugleich auch ein Plädoyer für die heilenden Kräfte der Magie – einer Magie des Geschichtenerzählens und der Phantasie. Mutter DuClos’ Kapelle wird dabei zum Sinnbild einer ganz anderen – jedoch nicht weniger trickreichen – Stätte der Geisterbeschwörung: des Theaters selbst.


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