Gespräch auf der großen Straße *
Iwan S. TurgenjewGespräch auf der großen Straße *
(Rasgowor na bolschoj doroge)
Hörspiel
Deutsch von Ingeborg Gampert
Auf der großen Straße schleppt sich eine klapprige Kutsche übers Land, gezogen von drei ausgepumpten Pferden. Der Herr, sein Diener und der Kutscher reisen dem heruntergewirtschafteten Landgut entgegen, dessen Zwangsvollstreckung sich nicht mehr abwenden ließ. Die Sonne sengt. Der schwindsüchtige Herr hat Hustenanfälle. Man spricht von Gott und Geistern, Alpträumen, von der Hoffnung, aber auch von Alltäglichem, Nichtigem. Es ist eine Reise in den Tod.
Im Angesicht eines Endes verkehren sich die Hierarchien. Breitbeinig und aufgedunsen demonstriert der Diener vorne auf dem Bock seine Schadenfreude, der Kutscher erteilt arglos Lebensweisheiten. Der Herr hingegen, dem nur in kurzen Momenten noch das Leben durch die Glieder fährt, kauert bleich und trübsinnig auf dem Rücksitz. Doch die Heimkehr rückt näher, und so langsam dämmert es Kutscher und Diener: ohne den Herrn sind auch sie preisgegeben. Und so stimmt man gemeinsam ein Volkslied an. Die Sonne sengt. Der Herr hustet. Aber ein Ende der Straße ist noch nicht in Sicht.
Die Anatomie eines kommenden Todes: Mit einer erstaunlichen Radikalität zeigt Iwan Turgenjew in „Gespräch auf der großen Straße“ einen Menschen im Verlöschen. Radikal ist dabei nicht nur das Thema, radikal ist auch der Reduktionismus in Turgenjews Darstellung, der mitten im 19. Jahrhundert das Theater Samuel Becketts antizipiert. Die größte Meisterschaft aber liegt in der eigentümlich surrealen Überbelichtung der kurzen Szene: je klarer sich der Tod abzeichnet, desto rätselhafter erscheint das Leben.
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