Licht unter Tage

Tennessee Williams
Licht unter Tage
(Candles to the Sun)
Stück in 10 Szenen
Deutsch von Renate und Wolfgang Wiens
5 D, 6 H, 1 K, St, Verw - Dek
Es dämmert gerade, da stolpert der alte Bram in sein Wohnzimmer, rempelt gegen Möbel, beklagt sich, dass er nichts sähe, und beschwert sich grimmig bei seiner Frau, dass die Petroleumlampe nicht brenne. Schon mit diesem ersten Auftritt schlägt Tennessee Williams die beiden Ebenen seines Stückes an: der Gegensatz von Licht und Dunkelheit wird sich konkret und metaphorisch als Leitmotiv erweisen, und in dem sparsamen Umgang mit dem Petroleum drückt sich die soziale Thematik des Stückes aus.

Bram ist das Oberhaupt einer Bergarbeiterfamilie in den Red Hills von Alabama, und er leidet nicht nur an einer durch seine Arbeit unter Tage geförderten Sehschwäche, er ist auch blind gegenüber der Zukunftslosigkeit seines Metiers, das ihm und den Seinen kaum das Überleben sichert. Dennoch kann er sich für seine Söhne keine andere Existenz als die seine vorstellen. Seine Engstirnigkeit geht so weit, dass er seine lebenslustige Tochter Star wegen ihrer Herumtreiberei in der Großstadt aus dem Hause jagt. Seine Frau Hester dagegen will die Söhne fortschicken, sie sollen woanders etwas Besseres finden.

Bei ihrem Ältesten, John, scheint Hester das gelungen zu sein, bis eines Tages dessen Witwe mit einem kleinen Jungen vor der Tür steht. John hat auch in der Fremde nur in einem Bergwerk Arbeit gefunden und ist bei einem Grubenunfall ums Leben gekommen. Die Familie nimmt die Schwiegertochter, Fern, und den Enkelsohn auf. Seine Mutter hat für ihn dieselben Ambitionen wie Hester für ihre Söhne; sie schuftet Tag und Nacht als Wäscherin und spart tatsächlich das Geld zusammen, um ihn aufs College schicken zu können.

Aber als es zu einem Streik kommt und die Bergwerksgesellschaft den einzigen Laden der Siedlung schließt, um die Bergleute auszuhungern, wendet sich der Streikführer wegen des Geldes, das gebraucht wird, um Lebensmittel heranzuschaffen, an die einzige, die darüber verfügt – an Fern. Nach längerem Zögern überlässt sie ihm das Ersparte; sie hat, wie er sich ausdrückt, "das Licht gesehen."

"Candles to the Sun", geschrieben 1937 vor dem Hintergrund der Depression in den Vereinigten Staaten, ist Tennessee Williams' erstes abendfüllendes Stück. Er erläutert selbst die metaphorische Bedeutung seines Titels: "Die Kerzen repräsentieren das individuelle Leben der Leute. Die Sonne repräsentiert das kollektive Bewusstsein. Das Stück endet als Tragödie für die Individuen, die am Ende feststellen müssen, dass sie ohne die Gemeinschaft nichts erreichen und nicht glücklich werden können, ohne dem Gemeinwohl Opfer zu bringen."

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