Besuch in Mechtshausen oder Herstellung eines Bildes

Rolf Schneider
Besuch in Mechtshausen oder Herstellung eines Bildes
Wilhelm Busch - Eine Komödie
2 D, 2 H, 1 Dek
Die deutschsprachige Kulturgeschichte des 19. Jahrhunderts kennt eine Reihe prominenter Junggesellen oder, einen etwas aus der Mode gekommenen (und durch Adalbert Stifter hochliterarisch gewordenen) Begriff zu verwenden: Hagestolze. Die Namen: Ludwig van Beethoven, Franz Schubert und Johannes Brahms, Immanuel Kant und Arthur Schopenhauer, Alexander von Humboldt, Heinrich von Kleist, Georg Büchner, Franz Grillparzer, Gottfried Keller und Wilhelm Busch. Die meisten von ihnen waren dem anderen Geschlecht
keinesfalls abgeneigt. Weshalb sie es vermieden, die Ehe einzugehen, hat bei jedem von ihnen unterschiedliche Gründe.

Im Falle Wilhelm Busch lassen sie sich nur sehr ungefähr benennen. Der Schopenhauer-Anhänger sah sich selbst als Menschen- und Frauenfeind; die negativen Erfahrungen fremder Ehen, die er beobachten konnte, hielten ihn offenbar ab, sich seinerseits in diesen Familienstand zu begeben; Zeugnisse seiner abgrundtiefen Verachtung sind viele seiner populären Bildergeschichten.

Doch es gibt daneben den anderen Wilhelm Busch: den Autor der beiden Prosa-Stücke „Eduards Traum“ und „Der Schmetterling“, den Verfasser zärtlicher Lyrik auch erotischen Inhalts, den Schreiber zahlloser Briefe und den fürsorglichen
Erzieher seiner drei Neffen. Dieser Widerspruch ist ebenso offensichtlich wie schwer zu erklären. Wir probieren eine Interpretation in theatralischer Form.

Dabei stützen wir uns auf reale Personen und Ereignisse aus Wilhelm Buschs Biografie, mit denen gelegentlich durchaus freizügig verfahren wird; unser Anliegen ist nicht die Geschichtsschreibung, sondern die schöne Literatur. Dass
Wilhelm Busch hier vornehmlich als Lyriker auftritt, hat seinen guten Sinn. Die Genialität des Zeichners und die vergleichsweise Leichtigkeit, mit der er jener Seite seines Talents nachzukommen vermochte, führte zu dem verbreiteten Missverständnis, als Literat sei er gleichsam minderen Ranges. Dem ist entschieden entgegenzutreten. Buschs Verskunst ist bedeutend. In Sachen Witz, Sprachkraft und der Verbindung aus beidem lässt er sich Friedrich Rückert und selbst Heinrich Heine vergleichen.

Dies waren die sehr allgemeinen Voraussetzungen für die Entstehung des vorliegenden Stückes. Es zeigt den alten Wilhelm Busch in Mechtshausen, seinem Rückzugsort am Harzrand. Es zeigt ihn als den extrem kontaktscheuen Menschen, der er war. Zwei Besucher bedrängen ihn: ein Neffe, der, angehender Gymnasiallehrer, sich in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befindet, und eine junge Frau, die sich zunächst als Journalistin vorstellt. Der berühmte Alte versucht, beide abzuwehren, mit jenen Mitteln, die ihm immer zu Gebote standen: dem Schweigen und dem geschliffenen Wort. Seine Schwester, eine geschwätzige Fürsorgerin, unterstützt ihn oder meint, ihn zu unterstützen. Heimlicher Inhalt des Ganzen ist Buschs hochdelikates Verhältnis zum anderen Geschlecht; es zeigt sich, dass da eine verborgene Leidenschaft existiert, die ihn immer noch beschäftigt.

Rolf Schneider

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