Ein guter Hund darf fressen
Tom StoppardEin guter Hund darf fressen
(Every Good Boy Deserves Favour)
Ein Stück für Schauspieler und Orchester
Musik von André Previn
Deutsch von Hilde Spiel
1 D, 4 H, 1 Junge, Orchester, Verw - Dek
Zwei Männer in der Zelle einer russischen Psychiatrie. Der eine, Alexander, ist hier, weil er Dinge gesagt hat zur repressiven Politik seines Regimes, zur Verfolgung von Dissidenten, zu Verhaftung und Folter, die man nicht sagen darf. Jetzt ist Alexander selbst ein politischer Häftling, kurzerhand zum „Patienten“ erklärt, bei dem man die gefährlichste aller psychischen Störungen diagnostiziert hat: eine eigene Meinung. Der andere, Iwanow, ist hier, weil er Dinge hört, die sonst niemand hört: mit einer kleinen Triangel führt er ein gewaltiges Orchester an, das allerdings nur in seiner Phantasie spielt. Iwanow ist wirklich verrückt.
Doch die Klinikleitung, dort sitzen vor allem Philologen und Militärs, zeigt sich verhandlungsbereit: Iwanow müsse nur so tun, als wäre er gesund und Alexander nur öffentlich zugeben, dass er verrückt ist – und schon wären beide entlassen. Es gilt schließlich die Regel: Ein guter Hund soll auch fressen dürfen. Während Iwanow sich nun mit Hingabe darin übt, kein Orchester zu hören, erhöht die Klinikleitung zugleich den Druck auf Alexander, indem sie seinen schulpflichtigen Sohn ins Spiel bringt. Alexander muss eine schwere Entscheidung treffen: Ist die Wahrheit mehr wert als die Freiheit?
Von den Prozessen gegen die russische Punkband „Pussy Riot“ bis zu den massiven Einschränkungen der Meinungsfreiheit in Viktor Urbáns Ungarn – das Thema von Tom Stoppards „Ein guter Hund darf fressen“, das auf den
Erfahrungen der ehemals inhaftierten russischen Dissidenten Vladimir Bukovsky und Victor Fainberg beruht und zu Sowjetzeiten spielt, hat heute vielleicht seinen Rhythmus geändert, keinesfalls jedoch seine Melodie. Gegen die eiserne Faust der Autokraten vermag Tom Stoppard immerhin die feine Klinge der Ironie zu setzen: Ein System, das nur für wahr hält, was es selbst als wahr definiert hat, endet schließlich selbst dort, wo es seine Feinde sehen wollte: in einem Zustand der Schizophrenie.
„Ein guter Hund darf fressen“ – der Titel dient auch als Eselsbrücke für die fünf Notenlinien „EGHDF“ – ist allerdings nicht nur eine aufwühlende und lakonische Satire über die wahnhafte Logik diktatorischer Systeme, es ist zugleich ein Stück von formaler Einzigartigkeit: es wurde komponiert für Schauspieler und Orchester, an die Seite des Textes von Tom Stoppard tritt die Musik des amerikanischen Komponisten André Previn. Daraus entsteht nicht zuletzt die fulminante Komik des Stücks: Wenn Iwanow gegen das Gespenst seines imaginären Orchesters kämpft, dann unter erschwerten Bedingungen –: das reale Orchester nämlich greift vom Bühnenrand her ein ins Spiel, kommentiert und karikiert es.
Das Zusammenspiel beider Kunstformen bringt auf diese Weise eine völlig neuartige, symphonische Variante des Theaters hervor: eine politisch-musikalische Parabel über eine streng orchestrierte Gesellschaft, in der kein Ton jemals aus der Reihe tanzen darf.
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