Die Zärtlichkeit der Russen - original sounds -

Dagrun Hintze
Die Zärtlichkeit der Russen - original sounds -
Eine Collage
5 D, 2 H, 1 Dek
In "Die Zärtlichkeit der Russen – original sounds" treten neun Personen auf, die von ihrem Leben erzählen – oder es zumindest versuchen: Frau P zum Beispiel hat den Zugriff auf ihre Erinnerungen verloren ("Die anderen, das ist ja eine Tatsache, dass die eine Kindheit besitzen. Aber ich kann mir da nicht hundertprozentig sicher sein.") und wird von diffusen Schuldgefühlen geplagt. Auch Mutter W weiß so gut wie gar nichts mehr von ihrer eigenen Biographie und benötigt die Hilfe ihrer Tochter, um das Geschehene zu rekonstruieren – was mitunter zu einer brutalen Komik führt (Mutter W: "Mich hat neulich jemand gefragt, ob ich eine schöne Jugend gehabt hab’. Hab’ ich doch, oder?" – Tochter W: "Nee. Aber wenn du meinst.")

Der zweite Weltkrieg hat alle Personen in ihren jungen Jahren geprägt. Frau H hat ihren Mann verloren. Frau K – eigentlich ein naives Gemüt, das sich vor allem an die Schokolade erinnert, die die "Tommies" mitbrachten – berichtet im Nebensatz, ihr Vater habe sich 1945 am Grab ihrer Mutter erschossen. Frau T ermöglichte der Krieg eine Ausbildung zur Krankenschwester, am Ende ihres Arbeitslebens war sie OP-Schwester, und das bedeutet ihr auch heute noch alles. Herr Z verlor einen Arm und beklagt vor allem die Härten seines Schicksals: Scheidung, Bruch mit den eigenen Kindern, Alkoholismus, Schulden. ("Schöne Erinnerungen habe ich gar nicht. Und wenn doch, als Kind oder so, dann habe ich sie vergessen.")

Frau B wuchs in Ostpommern auf und schildert diese untergegangene Welt in leuchtenden Farben: Torf machen, mit dem Pferdegespann einen Acker pflügen, auf den Tanzboden gehen, mit dem ganzen Dorf eine Bauernhochzeit feiern... Dann aber kommt der Krieg, dann kommt der Hunger, und dann kommen die Russen.

Frau H: "Der Krieg hat alles aus den Schubladen mitgenommen."

Mehr als ein Jahr lang führte Dagrun Hintze Interviews mit den Bewohnerinnen und Bewohnern eines Alten- und Pflegeheims. Die so gewonnen Texte montierte sie zu "Die Zärtlichkeit der Russen – original sounds". Neben dem Wunsch, diese oral-history-Überlieferungen zu bewahren, beschäftigte sie auch die Frage, was eigentlich passiert, wenn Menschen ihre eigene Biographie erzählen.

Entstanden ist ein beklemmendes Dokument über den Schrecken des Krieges, über Krankheit und Alter, existentielle Einsamkeit und den Versuch, zumindest im flüchtigen Vorgang des Erzählens der eigenen Lebensgeschichte Sinn und Ordnung zuzuschreiben.

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