Zum Abriss freigegeben

Tennessee Williams
Zum Abriss freigegeben
(This Property is Condemned)
Stück in einem Akt
Deutsch von Wolf Christian Schröder
1 D, 1 H, 1 Dek
Ein Bahndamm am Stadtrand, der Himmel ist weiß wie ein Stück Papier. Tom, ein Junge in Cordhosen, der mit seinem Drachen auf Wind wartet, begegnet Willie – einem jungen Mädchen mit verfilztem Haar, blauem Abendkleid, Rouge und roten Lippen, das auf den Gleisen balanciert. Willie, die ganz allein ein zum Abriss freigegebenes Haus unweit der Gleise bewohnt, ist seltsam – seltsam verwahrlost und klug, seltsam kindlich und zugleich verrucht. Sie schlägt den hilflosen Tom sofort in ihren Bann.

Doch unter der Schminke verbirgt Willie die Spuren eines früh geprüften Lebens: Erst ist die Mutter mit einem Bremser von der Eastern Line durchgebrannt, dann verschwand der Vater irgendwo im Suff. Schließlich ist auch Alva verschwunden, die große Schwester – sie verschwand buchstäblich: ein früher Tod an Tuberkulose. Doch jetzt, vollkommen auf sich gestellt, will Willie sein wie ihre Schwester – erwachsen und selbstsicher, aber auch schön wie ein Filmstar und die Hauptattraktion für durchreisende Eisenbahner auf der Suche nach schneller Liebe…

Tennessee Williams widmet sich einer Lebensphase, die heute unter dem Diktat eines entgrenzten Kapitalismus endgültig zu verschwinden droht: der Kindheit. 1946 geschrieben – neun Jahre vor der Veröffentlichung von Nabokovs „Lolita“ – und 1966 von Sydney Pollack fürs Kino adaptiert, nimmt „Zum Abriss freigegeben“ schonungslos die bigotte Moral einer Gesellschaft ins Visier, die kindliche Sexualität einerseits streng tabuisiert, sie zugleich aber insgeheim zum Gegenstand des Begehrens macht. In Zeiten von minderjährigen Popstars und Missbrauchsfällen an Internaten ein Thema von bestürzender Relevanz.


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