Schrödingers Katze
Lotte IngrischSchrödingers Katze
Komödie in 3 Akten
1 D, 3 H, Verw - Dek
Schrödingers halbtote Katze miaut kläglich. Zusammen mit einem halb zerfallenen Atomkern, einem Detektor und einem Kolben mit Blausäure sitzt sie in einer dunklen Kiste und wartet darauf, dass der Zerfall des Atomkerns die Blausäure freisetzt und ihr hiesiges Dasein beendet. Bis dahin jedoch – und bis jemand nachprüft, wie es um ihre Vitalfunktionen steht – ist die arme Katze, so jedenfalls lautet Erwin Schrödingers berühmtes Gedankenexperiment, quanten-theoretisch gesehen weder tot noch lebendig – sondern beides gleichzeitig.
Schrödingers Ex-Geliebte Rosa hingegen ist mehrfach schon gestorben – beim letzten Mal regnete es in Strömen –, sie ist allerdings noch lebendig genug, um die Versuchsanordnung in gehörige Turbulenzen zu stürzen: Nicht nur, dass sie die Katze heimlich befreit, sie will auch Schrödinger zum gemeinsamen Spuk im Zwischenreich von Diesseits und Jenseits verführen. Der Mitbegründer der Quantenphysik jedoch – in Lotte Ingrischs fröhlicher Wissenschaftsgroteske „Schrödingers Katze“ plötzlich Testperson des eigenen Experiments – hat zuvor noch ein Hühnchen mit Heisenberg zu rupfen, seinem alten Kollegen und größten Widersacher…
Die Quantenphysik, dieses große „Techtelmechtel mit dem Subatomaren“, ist bei Lotte Ingrisch allerdings alles andere als bloß ein Sujet für Spezialisten. Schamlos und anarchisch demontieren Schrödinger und Heisenberg im Überschall-Pingpong der Argumente – jede Formulierung ein Gedankenblitz – die vermeintliche Vertrautheit unserer Welt: Gibt es die Wirklichkeit oder gibt es nur Wahrscheinlichkeit? Was ist die Welt, wenn nicht unablässig sich wandelnde Information? Kann man Gott messen? Tun das die Religionen? Warum redet Gott nicht, wenn man ihn höflich fragt?
Gott redet natürlich die ganze Zeit, nur hat niemand ihn verstanden. Die Granate der Ungewissheit, die Lotte Ingrischs furioses Ideentheater in die Kleingärten des Alltagswissens wirft, sie trifft schließlich auch die Wissenschaften selbst. Von der Wellentheorie bis zur Weltseele, von der Unschärferelation bis zur Entropie der Weisswurst – am Ende sehen auch Schrödinger und Heisenberg, die beiden großen Vordenker der modernen Physik, nicht mehr als immer nur sich selbst: „Das ist unser Kreuz. Für die Wahrheit haben wir keine Antenne.“
Und Gott? Der sitzt als vermummte Person dort, wo zuvor Schrödingers Katze war: in der dunklen Kiste, weder tot noch lebendig.
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