Etwas Unausgesprochenes
Tennessee WilliamsEtwas Unausgesprochenes
(Something Unspoken)
Stück in einem Akt
Deutsch von Jörn van Dyck
2 D, 1 Dek
Ein Herrschaftssitz in den Südstaaten am "Edgeware Drive". Hier residiert Cornelia Scott, ein wohlhabendes Südstaaten-Fräulein und eine majestätische Erscheinung. Seit fünfzehn Jahren teilt Grace Lancaster, Ende Vierzig, als Sekretärin mit ihr diese Zweisamkeit, wenn man vom Personal einmal absieht. Seit fünfzehn Jahren erträgt sie die subtilen Aggressionen der Hausherrin, vielleicht auch deshalb, weil sie deren sexuelle Neigung ihr gegenüber spürt, und damit auch das Gefühl eigener Macht über Cornelia. In diese spannungsgeladene Atmosphäre platzen die Vorstandswahlen bei den "Töchtern der Konföderation". Cornelia hat beschlossen, selbst nicht daran teilzunehmen, sondern sich in Abwesenheit durch einstimmige Akklamation wählen zu lassen. Ihre hochnäsige Fehleinschätzung der Situation lässt dieses Vorhaben gründlich scheitern. Das bange Warten am Telefon wird mit einer Generalabrechnung verbunden, bei der Cornelia versucht, die sich sträubende Grace zu einer offenen Aussprache zu bewegen. Immer wieder werden die Gesprächsansätze durch Berichterstattungen vom Wahlausgang unterbrochen. So treiben sich beide Auseinandersetzungen gegenseitig auf die Spitze. Doch alles schlägt fehl. Die Wahl geht verloren. Und es wird zwar von beiden Damen ausgesprochen, was sie bewegt, aber die Offenbarung der Gefühle unterbleibt. Was seit fünfzehn Jahren unausgesprochen blieb, wird es auch in Zukunft bleiben.
Tennessee Williams hat die Menschen immer als Eisberge betrachtet, deren kleine Spitze über der Oberfläche zum Vorschein kommt, während die eigentliche Masse im Verborgenen bleibt. Mit dieser nicht sichtbaren Komplexität der menschlichen Existenz hat er sich in seinem Schaffen auseinandergesetzt. Insofern ist Etwas Unausgesprochenes ebenso wie die drei anderen Einakter als exemplarische Aufarbeitung seiner eigenen Existenz als Mensch und als Künstler zu verstehen.
"Wenn ich als Mitglied der menschlichen Rasse die Menschen ihres Verhaltens anderen Menschen gegenüber wegen angreife, dann schließe ich mich selbst in diesen Angriff mit ein. Ich habe schon eine ganze Anzahl menschlicher Schwächen und Brutalitäten an den Pranger gestellt, und habe sie demnach selbst auch. Ich will auch nicht behaupten, dass ich selbstkritischer bin als sonst wer. Schuld ist universell." (Tennessee Williams)
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