Von Amts Wegen

Arthur Wing Pinero
Von Amts Wegen
(The Magistrate)
Farce in 3 Akten
Deutsch von Gisela und Gert Heidenreich
4 D, 12 H, 3 Dek
Seit Jahren feiert "The Magistrate" in London in neuen Produktionen immer wieder Triumphe. Zweifellos gehört dieses ebenso heitere wie menschlich-tragische Stück um den philanthropischen Polizeirichter Aeneas Posket zu den großen Komödien der englischen Literatur.
In bester Farcen-Tradition legt es die Schwächen der sogenannten 'höheren' Kreise bloß, die, wie sich zeigt, keineswegs die 'besseren' sind. Ohne Zynismus, aber mit der nötigen entblößenden Schärfe, werden Spießertum, Charakterschwächen, Doppelmoral und Ängste einer gesellschaftlichen Klasse vorgeführt, die nicht nur in England meint, Stütze der Gesellschaft zu sein.
Pineiros perfektem dramaturgischen Arrangement ist es zu danken, dass im Zuschauer Schadenfreude unvermittelt mit Selbsterkenntnis wechselt. Am Ende sind – wie es sich für die Farce gehört – alle Beschädigungen mühsam beseitigt; man richtet langsam den Kopf wieder auf nach all den selbstverursachten Schicksalsschlägen - das Grundübel aber bleibt: die zwanghaft aufrecht erhaltenen Selbstbilder der 'besseren' Kreise werden neue Lügen, neue Illusionen, neue kriminelle Energie hervorbringen. Das alte Spiel – die unverblichene Aktualität...

Die Funktion des Polizeirichters ("Magistrate") ist im deutschen Recht nicht bekannt – er ist auch nicht identisch mit dem Friedensrichter der amerikanischen Justiz. Die deutsche Übersetzung stellt darum nicht das Amt in den Mittelpunkt, sondern den Charakter der Hauptfigur: ein Philantrop bringt sich mit seiner Menschenliebe, seinem Pflichteifer und seiner Angst vor eigener Bloßstellung an den Rand des Untergangs.

Die psychologische Disposition des Helden und sein im Stück erklärtes Amt sind, wie in der Farçe üblich, nicht weiter begründete Setzungen des Theaters. Sie sind damit ebenso glaubwürdig wie etwa das Amt und der Charakter von Kleists Dorfrichter Adam, und man wird in "Von Amts wegen" rasch ein englisches Gegenstück zum "Zerbrochenem Krug" entdecken. Pineiro ist jedoch der deutschen Romantik theatralisch um jene englische Prise Unbekümmertheit voraus, mit der dem komischen Arrangement und Effekt immer und unbedingt Vorzug gegeben wird.

Tatsächlich ist Pineros Stücken seine praktische Bühnenerfahrung bis in die Regieanweisungen hinein anzumerken, die einschließlich der exakt gezeichneten Grundrisse für die Bühnenbilder einen Autor zeigen, der beim Schreiben bereits auf imaginierten Brettern agiert. Szene und Dialoge sind eindeutig vom Schauspieler und seinen Möglichkeiten her gedacht. Der Nähe zur Theaterpraxis und der daraus entspringenden dramaturgischen Radikalität ist es denn wohl auch zu verdanken, daß Pinero noch bis etwa zum Beginn des ersten Weltkriegs nahezu unbestritten als der Größte unter den zeitgenössischen englischen Dramatikern angesehen wurde.

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