Wiener Totentanz
Lotte IngrischWiener Totentanz
10 Szenen
12 D, 14 H (Doppelbesetzungen möglich), 1 Dek
Mit seinen gut drei Millionen Bewohnern ist der Wiener Zentralfriedhof einer der größten Bezirke der Stadt – und nicht unbedingt der lebloseste. Denn in Wien gehören die Toten zu den Lebenden, wenn sie nicht oft gar lebendiger als die Lebenden sind. Der Gevatter Tod – liebevoll das „Ginkerl“ genannt – wird im Wiener Volkslied beinahe genauso emphatisch besungen wie der Alkohol, und wenn man genug hat vom irdischen Leben, dann säuft man sich einfach „hoam“. Wer einen Herzinfarkt hat, bekommt Besuch vom „Herzkaschperl“, und geht der glimpflich vorüber, ist auch das kein Problem: Die Busverbindung zum Friedhof fährt auch retour.
In Lotte Ingrischs „Wiener Totentanz“ wird daher auch besonders eifrig gestorben. Es erwischt den berühmten Mittelstürmer genauso wie den eilfertigen Polizisten, der eben noch einem Selbstmörder das Leben gerettet hat, den potenten Schaumgummi-Fabrikanten genauso wie die Hure, die gerade ihre letzte Kundschaft bedient, nämlich den blassen Vertreter, den es danach postwendend im Straßenverkehr erwischt. Der Tod steht hier mitten auf der Bühne, er hält das Karussell in Schwung, auf das die Menschen aufspringen, ein Stück mitfahren, bis es sie schließlich wieder abwirft. Doch ist er nicht bloß der klapprige Sensenmann, das dunkel drohende Ende aller Dinge, er ist zugleich der Kaspar, ein Clown, der, immer ein Kinderlied auf den Lippen, seinen Schabernack mit den Lebenden treibt.
„Wien ist die Stadt der Ratten und Gespenster. Es ist eine böse Stadt – und ich liebe sie sehr“, sagt Lotte Ingrisch. Man kann sagen, der „Wiener Totentanz“ enthält Ingrischs dramatisches Werk in nuce, geht es ihr darin doch immer wieder um die innige spielerische Verflochtenheit von Tod und Leben, darum, dass sich das Leben nur vom Tod aus betrachten lässt – und umgekehrt. Wo anders sollte das möglich sein als in Wien, dort also, wo der Tod seinen festen Wohnsitz hat?
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