DIE DREI BILLIONEN DOLLAR OPER
oder
RETTE SICH WER KANN
Peter Schneider
DIE DREI BILLIONEN DOLLAR OPER
oder
RETTE SICH WER KANN
Eine Musikalische Revue
2 D, 6 H, Combo, Verw - Dek
Der Alte aus Weimar hat es geahnt: Mephisto, Teil von „jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft“, arbeitet im 21. Jahrhundert in einer Großbank. Genau genommen ist Dr. Meph – wir leben schließlich in Zeiten der SMS – Anlageberater und Superbroker bei der systemrelevanten Südbank und kriecht in die Seelen seiner Kunden, um ihnen windige Immobilienfonds und Zertifikate zu verkaufen. Meph, der nun einmal aus einem anderen Jahrhundert stammt, kann nicht anders, als die Fachsprache der Investmentbanker in Knittelverse zu übersetzen. Mit dieser Marotte steckt er im Laufe des Stücks die meisten seiner Mitspieler an; sein Refrain „In der Krise bleiben wir extrem lebendig/denn wir sind systemnotwendig“ trifft den Konsens. Auch sein hochtalentierter und ehrgeiziger Lehrling Victor, der in Harvard Wirtschaftsmathematik studiert und sein Praktikum an den Roulette-Tischen von Las Vegas absolviert hat, lernt reimen. Allerdings will er nicht nur Mephs Reime, sondern auch dessen Wissen modernisieren. Er glaubt an die Berechenbarkeit der Märkte – und verrechnet sich.
Dass der Taxifahrer Joe, in seiner Naivität und Unfähigkeit zum Reim eher ein Sympathieträger, sich hoffnungslos mit Mephs faulen Anlagen verschuldet, gehört noch zum traditionellen Betrugsmodell. Meph singt ihm das Motto vor: „Auf zehn geborene Hungerleider/ kommt ein geborener Halsabschneider“. Aber erst Victor, durch Mephs Kokaingaben inspiriert, stellt den Betrug auf mathematische Grundlagen und erfindet das „perfekte Finanzprodukt“. Meph ermuntert ihn: „Genau das ist doch der Kick/ niemand versteht den Trick!“ Victors zynischer Vorgesetzter Willy Schumann, der die Tätigkeit seiner Bank gerne mit Gottes Schöpfungswerk vergleicht, ist begeistert. Weniger begeistert jedoch davon, dass Victor ein Auge auf seine Tochter Beatrice geworfen hat, die Jacques Lacan liest und an die Verbesserung der Welt glaubt. Gehör findet Victor bei ihr erst, als er sich auf Mephs Rat als Kenner postmoderner Theorien und als Fan des Films „Matrix“ ausgibt: Alles, was wir für wirklich halten, ist nur Erzählung, Lug und Trug, und ganz besonders die Welt der Millisekunden-schnellen Transaktionen.
Doch mit Menschen ist es wie mit Finanzmärkten – alles strebt auf die größtmögliche Katastrophe zu. In die Party-Stimmung der ersten beiden Akte – wir befinden uns in den Zeiten der märchenhaften Gewinne – mischen sich schon bald Geräusche des bevorstehenden Untergangs. Es knirscht und kracht im Gebälk. Beatrices Geburtstagsfeier im gediegenen Golfclub-Ambiente, zugleich eine Art Verlobungsakt zwischen Beatrice und Victor, endet dramatisch: Der doppelt betrogene Joe, der mit der Axt in die geschützte Burg des Golfclubs eindringt, fordert Rechenschaft. Doch mit einem geprellten, noch dazu alkoholsüchtigen Kunden wird man immer fertig. Ernster wird es, als Meph im Triumph die Daten des Finanz-Armageddons auf die Bühne projiziert. Mit teuflischem Vergnügen beobachtet Meph, wie die Verursacher des Desasters sich winden und jeder die Schuld beim anderen sucht. Doch ein Schuldiger – ein Opfer zur Besänftigung des Drachens – muss gefunden werden. Wer am Ende diese Rolle übernimmt und ein Zeichen setzt, ist verblüffend.
Peter Schneiders musikalische Untergangs-Revue ist das Stück der Stunde – selten ist die heilige Kuh des „sich selbst regulierenden Marktes“ so lustvoll geschlachtet worden wie hier. Ein pointiertes, messerscharfes Stück Systemkritik, das mit Songs wie dem Lied von der fröhlichen Fahrt in den Abgrund, dem Lied von der Bereitschaft, sich ausbeuten zu lassen oder dem Weltuntergangsrap den tödlichen Ernst des Treibens der Finanzmärkte unterhaltsam auf die Spitze treibt. Wer in diesem Pandämonium aus gekauften Rating-Agenturen, erpressbaren Politikern, neunmalklugen Professoren, ehrgeizigen Bänkern und naiven Kunden die Hauptschuld trägt, möchte Meph das Publikum entscheiden lassen. Doch während sich draußen vor dem Golfclub bereits die Demonstranten sammeln, träumt man drinnen schon vom nächsten Boom. Und Beatrice singt: „Die Welt ist aus dem Gleichgewicht/ und diese Herren merken’s nicht.“
Zurück zur Übersicht
