Professor FAUST & Gretchen

Rainer Kohlmayer
Professor FAUST & Gretchen
Deutsches Kammerspiel in 2 Teilen
3 D, 3 H, 1 Dek
Harry Faust ist anfangs ein kompromissloser, frustrierter Intellektueller, der dann aber, teils durch eigene geistig-charakterliche Flexibilität, teils dank der historischen "Wende", vom ideologiekritischen Rand der BRD in die politische Mitte der postmodernen Gesellschaft rückt, vom universitären Außenseiter zum mediengewandten Kulturminister mutiert und sich mit den Widersprüchen der eigenen Karriere und der Vielfalt seiner bedenklichen ministeriellen Mitarbeiter dynamisch und managerhaft zu arrangieren versteht. Gretchens Karriere verläuft dagegen weniger erfolgreich. Bei der ersten Begegnung mit dem etwas verklemmten Gelehrten ist sie ganz das herzige hessische Dummchen, das von Faust liebevoll unter die Fittiche genommen und im Schnellverfahren intellektualisiert wird. Als sie Fausts sozialrevolutionäre Gedankenspiele naiv-gläubig in die terroristische Praxis umsetzt, landet sie zunächst in der geschlossenen Psychiatrie, bis ihr die Elektroschockbehandlung die Gnade der "Amnesie" beschert und sie, wenn auch etwas abgetakelt, ungefähr an ihren Ausgangspunkt zurückkehren lässt.

Der Teufel ist als Agent nicht mehr nötig, er spielt nur noch als schadenfroher Beobachter und bissiger sängerischer Kommentator eine Rolle. Besteht die Dialektik der Geschichte nicht auch darin, dass jede noch so gute Idee ihre spezifische Teufelei selbst ausbrütet ? Dabei bleiben die Ideen-Gläubigen  und Ideen-Verwirklicher eher auf der Strecke, während die wendigen Zeitgeist-Philosophen bereits der nächsten innovativen Gesellschafts-Theorie hinterherjagen. Das Gespräch zwischen dem Professor und Gretchen in der Heilanstalt zwingt Faust zum Offenbarungseid und zeigt die verteufelte Ausweglosigkeit der Beziehung und Begegnung zwischen den beiden Welten.

Das Stück verbindet theaterwirksam komische, kabarettistische und erschütternde Momente. Dabei läuft die Handlung immer auf zwei Ebenen gleichzeitig ab. Einerseits ist es die satirisch gefärbte Darstellung der Geschichte eines typischen deutschen Intellektuellen vor und nach der Wende. Andererseits besteht durch eine Reihe von deutlichen oder versteckten Anspielungen ein ständiger pikanter Bezug auf Goethes Faust-Drama, angefangen von der Aktualisierung der Wissenschaftskritik bis zur Emanzipation der Gretchen-Figur von ihrer weimar-klassischen Bravheit und Beschränktheit: An Gretchen gemessen, schrumpft Faust zum autistischen Egomanen. Fausts ministerielle Mitarbeiter (mit den sprechenden Hybrid-Namen "Goetels", "Hiller" und "Himboldt") zitieren und karikieren in drei wahnwitzigen Szenen die Extreme der deutschen Geschichte.

Das Stück bringt die Zuschauer zum Lachen und zum Nachdenken und treibt ihnen, auch durch die giftigen Lieder des «Mephisto» und die verzweifelt-komische Schluss-Szene, einen nicht leicht zu ignorierenden und zu entfernenden Stachel ins Bewusstsein.

Zurück zur Übersicht